Olivenernte in La Rogaia 2017
Olivenernte in La Rogaia 2006
Gleich hinter der kleinen italienischen Ortschaft Castel Rigone (bei Perugin) beginnt in Umbries das Reich der Oliven. Man sieht die schief gewachsenen, knorrigen Bäume mit ihren silbriggrünen Blättern schon von Weitem an den Hängen stehen. Um zur Villa "La Rogaia" zu kommen, muss man noch 2,5 Kilometer über eine enge Schotterstraße fahren. Dann, hinter einer Kurve, erscheint ein kleines, helles Sandsteinhaus auf einer Hügelkuppe. Der Kiesweg schlängelt sich jetzt durch hohe Rosmarinsträucher, vorbei an Mandel- und Pfirsichbäumen, Gemüsebeeten und nach Honig duftendem Ginster - plötzlich steht man auf einer Terrasse.
"Hallo, kommt doch herein!" ruft Annette Greifenhagen (42) - die ehemalige Ärztin aus dem Allgäu. Sie steht in der Küche und rührt in einem großen Topf. 1998 ist sie mit ihrem Mann Wolfgang (46) hierher gezogen. "Es war schon immer mein Traum, in Italien zu leben. Als ich mich in Wolfgang verliebte und er mir erzählte, dass er gern auswandern würde, war klar: Wir gehen in den Süden." Zufällig erfuhr der gelernte Steinmetz 1996 von Freunden, dass ein Hof zum Verkauf Stünde. "Der war in einem fürchterlichen Zustand, hatte keine richtige Küche und keine Heizung. Aber wir fanden die Lage super, und die Bausubstanz war auch gut." Annette und Wolfgang kauten 1998 das Haus und fünf Hektar Land für 115000 Euro und beginnen mit dem Umbau. "Zusätzlich pachteten wir noch neun Hektar Land dazu mit 400 Olivenbäumen."
Ein Plan gegen leere Ferienwohnungen
Jedes Jahr im Oktober krümmen sich die Äste unter der Last der dicken, schwarzen Früchte. Dann ist Erntezeit in La Rogaia. "Allein schafften wir es aber nicht, alle Oliven abzupflücken." Eines Abends vor drei Jahren sitzen Wolfgang und Annette auf ihrer Terrasse, trinken Chianti, hören den Grillen zu und haben eine Idee. "Wir leben ja hauptsächlich von der Vermietung unserer kleinen Ferienwohnungen. Ab Oktober ist die Saison zu Ende, und dann stehen die Wohnungen oft leer." Aber genau zu diesem Zeitpunkt sind die Oliven reif zum Abpflücken. "Super, dachten wir. Dann bieten wir einen Oliven-Urlaub an. Jeder kann herkommen und sich sein eigenes Öl herstellen."
Ein Knüller, besonders für Familien mit kleinen Kindern. Landschaftsgärtner Thomas Baur (41) aus Weinheim und seine Frau Annette (37) mit Johanna (5) und Charlotte (15 Monate) sind jetzt schon zum zweiten Mal hier. "Die Kleinen kommen mit auf die Hänge, toben herum, helfen beim Pflücken oder spielen im Gras. Uns macht das Ernten viel Spaß, und wir haben tolles Olivenöl für zu Hause." Es gibt keine festen Anfangszeiten. Wer will, beginnt morgens um acht oder kommt später dazu. "Es sind nur drei Minuten Fußweg", sagt Annette. Die Familie Baur verbringt den ganzen Vormittag auf den Bäumen. Nachmittags unternehmen sie Ausflüge, zum Beispiel zu den mittelalterlichen Thermalquellen in Bagno Vignoni, in die Stadt Assisi (Pilgerstätte Basilika San Francesco), oder sie erholen sich im Garten der Villa.
Oliven zu ernten ist ganz schön anstrengend. Sie sind nicht so leicht zu pflücken wie Kirschen, sondern hängen widerspenstig an den knorrigen Ästen. Beherzt packt Annette einen Zweig und kämmt mit dem "Rastrello", einem kleinen Plastikrechen, durch das Laub. Laut prasseln die Früchte auf die Erde, direkt in das ausgebreitete Plastiknetz. Was daneben kullert sammeln die Kinder auf; wenn sie nicht gerade irgendwo spielen.
Stundenlang hört man nur das Rascheln der Blätter und Prasseln der Oliven. Die Sonne steht hoch am Himmel, es sind angenehme 20 Grad. Gegen Mittag werden die Netze zusammengebunden, die Früchte in Kisten verstaut und gemeinsam auf den Hof getragen. Fünf Stunden pflücken die Baurs täglich. Der Lohn nach einer Woche sind zehn bis dreißig Liter feinstes Olivenöl. Der Ertrag ist nicht jedes Jahr gleich. Grund: War der Sommer warm und nicht zu trocken, geben die Oliven mehr Öl.
Mittagspause: Auf der Terrasse stehen schon große Töpfe mit Makkaroni, Salatschüsseln und Suppe. Dazu frisches Brot und natürlich Olivenöl - als kleiner Vorgeschmack auf die eigene Ernte. Dick fließt es auf den weißen Teller. Es riecht nach Gras und funkelt grüngolden in der Mittagssonne. Dafür nehmen die Urlaubsgäste die tägliche Plackerei gern auf sich. Annette Baur: "Dieses Bio-Öl hat eine so hohe Qualität, das bekommt man nicht in Deutschland. Die Bäume wurden nicht gespritzt, und die Früchte werden in einem speziellen, uralten Verfahren in einer alten Mühle gepresst."
Nach sechs Tagen im Olivenbaum ist es Zeit für die Pressung. Annette, Wolfgang und ihre Gäste schleppen die Kästen ins Auto und fahren los. Die Mühle ist eine halbe Stunde von der Villa entfernt. Wolfgang: “Wir haben Sie ausgewählt, weil sie dort auf besonders schonende Weise die Früchte bearbeiten." Zuerst kommen die Oliven auf die Waage, dann laufen sie über ein Förderband mit Luftgebläse, das die Blätter und kleinen Ästchen wegbläst. Anschließend werden sie sorgfältig gewaschen und auf einem Förderband durchgeschüttelt, das entfernt kleine Schmutzpartikel. Von der Waschanlage geht es dann ins Mahlwerk, das sie zu Brei, der so genannten Maische, zermalmt. Danach wird der ölige Brei zusammengepresst, das Öl herausgefiltert. Nach etwa 40 Minuten ist der große Moment gekommen: Das Öl fließt aus dem Hahn, und ein grasiger Geruch durchströmt die gesamte Mühle.
Thomas zapft die ersten dicken Tropfen auf einen großen Teller, er tunkt frisches Weißbrot hinein. "Das ist ein unvergleichlich guter Geschmack, den man nur hier erleben kann. Nussig, herb und total lecker." Das Pressen kostet die Urlaubs-Familie nichts. Sie schenkt der Mühle die übriggebliebene Maische. Die kann noch zwei weitere Male gepresst werden. Das kostbare Gut (Liter-Preis im Laden ab ca. 30 Euro) wird in große Ein-Liter-Flaschen abgefüllt. Diesmal kann Familie Baur dreißig Flaschen mit nach Hause nehmen. Das reicht bis zum nächsten Jahr. Der letzte Abend: Hell knistert ein großes Lagerfeuer in den Hainen - die Olivenzweige wegfeuern nennt man das. Annette, Wolfgang und ihre Urlaubsgäste gucken in die Flammen. Grillen zirpen. Nächstes Jahr, da sind sie sich sicher, nächstes Jahr sehen wir uns zur Ernte alle wieder.
Christine Schmidt
Artikel erschienen in der Zeitschrift "tina",
Heft Nr. 36 vom 30. August 2006, S. 40 ff.